Mittwoch, 16. November 2011

Jüdischer Friedhof Weißensee - Nachtrag


Wie letzte Woche bereits berichtet, war ich heute vor einer Woche mit einer Freundin auf dem Jüdischen Friedhof in Weißensee. An dem Tag ist mir zu ersten Mal aufgefallen, wie kalt es inzwischen ist, aber ich hab von meinem Opa ja gelernt: "Es gibt kein schlechtes Wetter, es gibt nur falsche Kleidung." Und so stapfte ich in Lederjacke, Baggy und Turnschuhen mit dickem Schal, bewaffnet mit Kamera und Freundin, die anscheinend nahezu alles über den Friedhof weiß, durch die Gräberreien. 
Es war super interessant. Als wir den Friedhof betreten haben, sind wir erstmal die älteren Gräber entlang gegangen, die alle aus dem 19./Anfang des 20. Jahrhunderts stammen. J. erzählte mir viel zu der Bestattungskultur damals. Ich wusste zum Beispiel nicht, dass früher Sitzgelegenheiten beo den größeren Gräbern eingelassen wurden, weil die Angehörigen da oft...naja, Picknick ist vielleicht zuviel gesagt, aber da hingegangen sind und zum Teil dort auch gegessen haben (hab ich fotografiert, aber nicht eingescannt -.-)
 
Der ganze Friedhof, zumindest der alte Teil, hatte etwas Verwunschenes an sich. Es war unglaublich ruhig. Der Friedhof liegt zwar Mitten in der Stadt, ist aber so groß, dass man den Straßen- und Stadtlärm überhaupt nicht hört. Es war kalt und nebelig, und außer ein paar Grabpflegern waren kaum Menschen unterwegs. Bei manchen Gräbern sind Bäume hindurchgewachsen, woanders sind Bäume umgeknickt und haben sich über mehrere Gräber gelegt, die oft in so engen Reihen lagen, dass ich mich nicht traute, mal durchzugehen, aus Angst auf die Gräber zu treten (und das gehört sich einfach nicht). Wir sind an einer Stelle vorbeigekommen, an der Steine einfach wild durcheinander lagen (Foto rechts). Der Friedhof wird inzwischen zwar wieder gepflegt, die alten Steine werden geputzt und die Schrift neu vergoldet. Aber im Großen und Ganzen wirkt er wie ein vergessener, sich selbst überlassener Ort. Und er ist riesig. Ich meine...RIESIG. Ich kenne ja Ohlsdorf in Hamburg, der der größte Friedhof der Welt ist. Da kannst du dich auch ordentlich verlaufen, und so groß ist Weißensee nicht (sonst wäre Ohlsdorf ja nicht der größte), aber immer noch riesig genug, dass ich beim Schlendern irgendwann die Orientierung verlor. Zum Glück kennt sich meine Freundin da aus wie 'ne Eins.
Wir haben uns auch die ganze Zeit gefragt, warum die Nazis diesen Friedhof haben bestehen lassen, denn sie hatten eine ekelhafte Vorliebe dafür, die Straßen der Ghettos und KZs mit den Gebetstafeln der Juden zu pflastern. Dieser Friedhof sah komplett unberührt aus, nicht wieder aufgebaut mit künstlich gealterten Steinen. Die Gräber sind wirklich so alt. Was ich auch sehr faszinierend fand, waren manche Grabinschriften. Auf den Grabsteinen werden oft ganze Geschichten erzählt, und oft standen da Dinge wie "1943 deportiert, ermordet 1944 in Auschwitz". Eine Inschrift hat mich noch mehr berührt, und ich Dussel habe sie nicht fotografiert, befürchte ich. Sinngemäß ist eine Familie über die Niederlande nach Belgien geflohen und dann weiter nach Frankreich - und wurde nach Auschwitz deportiert. Ich finde, diese kurze Inschrift zeigt in diesen wenigen Zeilen ganz deutlich, was für ein Katz-und-Mausspiel die Zeit für Juden war. Immer auf der Flucht, immer Angst, auch in diesen Waggons zu landen und in den Tod zu fahren. 
Der Friedhof hat mich sehr nachdenklich gemacht, was meistens passiert, wenn ich auf andere Weise als mit Geschichtsbüchern mit Geschichte "konfrontiert" werde (es ist nicht richtig eine Konfrontation, es ist für mich keine Herausforderung oder Kampf). Sobald ich die Spiegelreflex habe und schon etwas rumgespielt habe, werde ich den Friedhof wohl nochmal besuchen.

Es gibt einen Film, "Im Himmel, unter der Erde", der von diesem Friedhof handelt. Ich glaube, ich werde den am Wochenende gucken, bis dahin ist hier erstmal der Trailer.



.~.~.~.~.~.
Es war so gut.
Und es ist noch lange nicht vorbei.
Soy

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