Dienstag, 27. Dezember 2011

"... ein fürchterliches Wort..."

Nun zum zweiten Akt meines Radio-Hausaufgabe, wenn man so will.
Da schnackte der eine Moderator, Laury, über Lykke Li, nur Gutes, wie toll, blabla. Dann kam ein fast unscheinbarer Satz, bei dem mein Augennerv irritiert zuckte:
 "...wenig natürlich, was ich toll finde...das Gegenteil der ehrlichen Rockmusik, von der immer alle sprechen - ein fürchterliches Wort..."
Frage #1: was genau ist schrecklich? Ehrliche Rockmusik?
Reaktion: Ey, Typ!, machst du grade mein musikalisches Zuhause platt, du Arsch?
Aber gut, es gibt Schlimmeres...

Frage #2 zieht eine ganze Polonaise an Folgefragen hinter sich her: wieso eigentlich? Warum sollte Rock echter sein als Popmusik, und ist das überhaupt die erstrebenswertere Option, die Echtheit? Da sind wir dann auch bei der Frage, was man von Musik eigentlich erwartet.
Ist Pop unechter als Rock? Warum? Weil Pop sich meistens mehr inszeniert? Auf der anderen Seite… ist nicht alles in der Musik eine Inszenierung? Lady Gaga macht es anders als Metallica, und die wieder anders als Thees Uhlmann. Aber während Lady Gaga sich sehr überspitzt darstellt und damit ihrer, persönlich gefühlten, Extravaganz Ausdruck verleiht, setzt sich auch eine Hardcoreband oder ein einsamer Klampfenspieler (a.k.a. Singer/Songwriter) in Szene – durch Minimalismus und Reduktion, wenn man so will, nur er, seine Gitarre und vielleicht ein Barhocker.

Ein Künstler drückt sich hauptsächlich, oft aber nicht ausschließlich, über seine Musik aus, sondern auch über Plattencover, Promotion und Konzerte. Zu sagen, dass nur Popkünstler „unecht“ oder zu artificial sind, ist mir zu kurz gegriffen, auf jeden Fall, wenn es um die Auftritte geht. Ich denke bspw. an Kiss, Rammstein oder Slipknot, die allesamt eine krasse Bühnenshow hinlegen und Kostüme auffahren, von denen jeder Kostümbildner träumt. Trotzdem werden sie zum „ehrlichen, echten“ Rock gezählt. An dieser Stelle sei auch einmal auf Lordy verwiesen, die rein auditiv zwar ziemlich eindeutig in die Rocksparte gehören, aber nicht unbedingt von allen ernst genommen werden. Nun ist die Frage, warum diese Bands als authentischer angesehen werden als mancher „schnöde“ Popact.
Was ist echt und ehrlich?
Warum sollte Rock diese Attribute allein gepachtet haben und der Pop völlig frei davon sein? Zugegebener Maßen nehme ich Künstler wie Lady Gaga, Robyn und Florence & the Machine ernster als Pietro Lombardi, Britney Spears oder Westlife. Aber warum sollte ich die erstgenannten Künstler als unechter empfinden als System of a Down oder La Dispute? Weil sich nicht alle Popkünstler erst jahrelang in Kneipen bewähren mussten?

Auf der anderen Seite könnte man auch argumentieren, dass diese teilweise exzessive Inszenierung von Kunst und Künstler einfach zum – Achtung, ich lehne mich aus dem Fenster – Genre dazugehört wie die kleinen, stickigen Kneipen zum Punk.

 Ich denke, zumindest was die Bühnenshows angeht sollte man von den Prädikaten „echt vs. unecht“, „ehrlich vs. inszeniert“ und „authentisch vs. fake“ Abstand nehmen. Ist überhaupt etwas nicht inszeniert in der Musik? Mit jeder Bühnenshow werden bestimmte Aspekte betont, sei es ein Kostümfeuerwerk bei Katy Perry, ein accessoirebefreiter E-Gitarrenabriss bei Remember (oder einer anderen lauten Hardcoreband) oder ein einfaches „Ich bin nur ich und meine Musik, ich brauche keinen Schnickschnack“ mancher Singer/Songwriter (zuletzt übrigens wieder wundervoll gesehen in der Hasenschaukel bei der About Song Christmas Tour mit Sir Simon, Talking to Turtles und Björn Kleinhenz). 

Insofern…was ist schon echt auf einer Musikbühne? Und muss es denn immer echt und ehrlich sein, wollen wir das überhaupt? Oder wollen wir uns nicht viel mehr in der Musik verlieren, die nun mal nahezu untrennbar mit dem Künstler verbunden ist, dessen Auftreten und stilistischen Auswüchse Teil des Gesamtwerkes sind?
Fragen über Fragen, eine führt zur nächsten und die Antworten sind noch rar.
Ich bin noch nicht am Ende meiner Gedanken, und ich bin mir auch nicht sicher, ob ich den Fragenkreis hier vernünftig schließe, aber an diesem Punkt habe ich kein Problem mit künstlerischer Auslebung jeglicher Art, sei es Pop, Rock, HipHop oder was auch immer da kommen mag..

An dieser Stelle Danke an Laury von meinem derzeit liebsten Online-Radio, für das Flashen und lostreten eines Gedankenflippers, der noch nicht vorbei ist.
Promised.

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